ARBEIT & VERGNÜGEN, SEHEN-HÖREN-FÜHLEN

IN HÖCHSTEN TÖNEN

Wenn Mittwoch für Mittwoch um Punkt 17:30 Uhr plötzlich wundersame Glockenklänge aus dem Turm der Neubaukirche über der Stadt erschallen, sorgt das selbst bei vielen Einheimischen noch immer für Irritationen.

„Was hat es damit auf sich?“ oder auch „Läuft das automatisch?“, lauten die üblichen Fragen zum allwöchentlichen Glockenspiel im höchsten Turm der Stadt. Eigentlich verbirgt sich dahinter gar kein „gewöhnliches“ Glockenspiel, sondern ein sogenanntes Carillon. Dieses gibt es dort seit nunmehr zehn Jahren. Höchste Zeit also für einen Besuch an einem der wohl außergewöhnlichsten Arbeitsplätze Würzburgs.

DIE POPSTARS DES 18. JAHRHUNDERTS 
250 Stufen und jede Menge Puste später findet man so hoch oben über der Stadt Dr. Dr. Jürgen Buchner. Von hier aus bezaubert er die Würzburger ehrenamtlich mit dem außergewöhnlichen Sound des Carillon. Bereits im Jahr 1510 fand das Instrument seine erste urkundliche Erwähnung. Die ersten Noten für das Carillon waren damals Weihnachtslieder. In den Niederlanden und Belgien entstand später die Hochburg der Carilloneure. Sie waren so etwas wie die Popstars des 18. Jahrhunderts, die die Hits spielten, zu welchen die Menschen auf der Straße tanzten. Zugegeben: Im Grunde hatten sie auch gar keine andere Wahl, denn ein Carillon hört man mitunter durch eine ganze Stadt. In jüngerer Vergangenheit wurde das Carillon vor allem durch den Kinohit „Willkommen bei den Sch’tis“ einem breiteren Publikum bekannt.

Doch zurück zu „unserem“ Carilloneur: Bei Dr. Dr. Jürgen Buchner, der nebenbei auch noch Jurist und Geistlicher ist, begann alles im Jahr 1982 mit einer Sendung im BR. Kabelfernsehen war damals noch Zukunftsmusik – und im öffentlich-rechtlichen TV lief sonntags quasi nonstop Kultur. Im konkreten (Glücks-)Fall ein Beitrag zu einem Carillon in Mechelen (Niederlande). Von diesem Moment an war es um Buchner geschehen – er fasste den Entschluss, dieses besondere Instrument zu erlernen. Doch erst viele Jahre später, 2002, bot sich schließlich die Gelegenheit zu Privatunterricht in den Niederlanden. 2008 begann er als einer von nur fünf Deutschen sein Studium an der königlichen Glockenspielschule in Mechelen.

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Heute gibt Buchner seine Kunst auch an Studenten weiter, darunter Dr. Kilian Eich und Alexander Hofmann, die ihn so im Fall der Fälle auch vertreten können. Die generellen Job-
aussichten in Deutschland für Carilloneure sind – selbst aus derart luftigen Höhen – praktisch gleich null. Leben kann man von dieser Kunst aktuell am besten in Belgien, den Niederlanden, Frankreich oder den USA. Und die Schulen dort können sich vor Lernwilligen aus aller Welt kaum retten. Der prominenteste Gönner der Carilloneure war übrigens ein gewisser John D. Rockefeller, der in der New Yorker Riverside-Kirche einst ein 101 Tonnen schweres Carillon errichten ließ.

 

KLASSIK, DEEP PURPLE UND DIE BEATLES
Was die Auswahl der Stücke angeht, die Dr. Dr. Jürgen Buchner heute aus dem Turm der Neubaukirche zum Besten gibt: Neben klassischen Titeln landen auch mal zeitgenössische „Oldies“ auf der Playlist, etwa „Smoke on the water“ oder Songs von den Beatles. Privat hört Buchner allerdings hauptsächlich Jazz, was sich für das Carillon allerdings weniger eignet. Hin und wieder bekommt er an seinem Arbeitsplatz, der übrigens von einer Schreinerei eigens für ihn konstruiert wurde, auch Besuch von Touristen. Das Schönste, was ihm jedoch bei seiner Tätigkeit als Carilloneur je passierte, hat mit einem Herrn zu tun, der in der Theresienklinik operiert wurde und Buchner später diese Geschichte erzählte: Als er nach seiner OP aus der Narkose erwachte, hörte er die Klänge des Carillons durch das Fenster und wusste so, dass er noch am Leben war und alles gut überstanden hatte. Wenn das nicht nach einem Fan fürs Leben klingt …

toene3toene4Text: Sabine Brummer;
Fotos: Pascal Höfig