1967 wurde am Würzburger Dallenberg im Stadtteil Heidingsfeld das Stadion der Würzburger Kickers eröffnet. Bereits 2014, also 47 Jahre später, regt sich unter den lieben Nachbarn dort erbitterter Widerstand. Ein greller Rückblick auf Flutlicht-Inferno, unglaubliche Machenschaften, Horden einfallender Wildpinkler und auf ein halbes Jahrhundert Würzburger Fußballgeschichte.
1967 BIS 2012 – HIMMLISCHE RUHE FÜR DIE HIGH SOCIETY
Die Kickers. So viele Jahrzehnte nach ihrem Kurzauftritt in der zweiten Fußball-Bundesliga während der Saison 1977/ 78 blieb es ruhig im und ums Stadion. Vereinzelte verbissene Anhänger der Rothosen verloren sich im weiten Rund des Stadions, das ursprünglich mal für 14.500 Zuschauer konzipiert worden war. Sie sahen, wie der Rasen verdorrte, der blaue Lokalrivale Würzburger FV meist eine Liga höher spielte und wie sich ihr Verein Anfang der 2000er-Jahre – fast insolvent – auflöste. Jeder Zuschauer hatte so viel Platz, dass er beispielsweise als 1,5 Quadratmeter große, platte weiße Rautenfläche auf den weiten Rängen hätte sitzen können. Den größten Lärm verursachten in diesen Jahren sicher nicht die Fußballfans. Es gab höchstens mal Lärm, wenn die stinkreichen Dallenberger mit Jagdgewehren von ihren Hochsitzen auf ihren weitläufigen Anwesen aus auf die einfachen Menschen im Tal schossen – und vielleicht bei Treffern die Sektkorken laut knallen ließen.
2012 BIS HEUTE: VON DER GRAUEN MAUS ZUM VIP-CLUB
Anno 2012 kam Bewegung in die Stadt. Durch die Meisterschaft in der Landesliga Nord und ein von dunklen Mächten herbeigeführtes Freilos in der Relegation gelang es den Rothosen, zwei Ligen auf einmal aufzusteigen: von der Landesliga bis in die 4. Liga, die neu gegründete Regionalliga Bayern. Nichts war mehr wie vorher. Horsti Frischler, der Chef einer Groß- und Famosdruckerei, stieg als Sponsor und Aufsichtsrat bei den Kickers ein. Aus den Katakomben seiner Druckerei brachte Horsti sein selbst verdientes oder möglicherweise selbst gedrucktes Geld mit. Mit ihm kamen andere Sponsoren. Diese hocken mittlerweile im VIP-Zelt auf raschelnden, mit Banknoten gefüllten Postsäcken, halten sich für die Kickers-Familie und klatschen, wenn der Würzburger Starkoch Gernzart Heiser (Name ähnlich) live die blonde Frau von TV Touring mit seiner fränkischen Rostbratwurst verführt.
1,2 ODER 3 – OB IHR WIRKLICH RICHTIG STEHT, SEHT IHR, WENN DAS LICHT ANGEHT!
Als höchstklassiger Verein der Stadt lockten die Rothosen mehr Zuschauer an. Schnitt in der abgelaufenen Saison: rund 2.500 pro Spiel. Die Verantwortlichen drehten komplett durch, hatten roten Schaum vorm Mund. Sie sprachen von der dritten Liga. Das Projekt „3×3 – Jetzt oder nie“ wurde aus der Taufe gehoben: In drei Jahren sollte mit einem Gesamtetat von 3,6 Millionen Euro durch Sponsorengelder und Zuschauereinnahmen der Aufstieg der Kickers in den Profibereich gelingen – UND DAS HAT BEREITS NACH EINEM JAHR GEKLAPPT! Unfassbar, denn unsere friedliche, wo nicht schläfrige Perle am Main hatte sich doch damit abgefunden, eine Basketballstadt zu sein und in Ewigkeit Dirk Nowitzki zu huldigen – dem mit über 3,50 Meter Körpergröße wirklich herausragenden Sohn unserer Stadt. 2014 eskalierte die Situation. Irrationale Dinge geschahen. Die Hautevolee vom Dallenberg traute ihren Augen nicht. Beim Pokalspiel gegen den Zweitligisten Fortuna Düsseldorf im August 2014 zerlegten deren Fans am Vorabend erst sich selbst respektive die Innenstadt. Kickers kickte den Zweitligisten aus dem Pokal. Wildfremde Menschen lagen sich in den Armen. Sie kopulierten, schlugen nackt Räder, brüllten wie Neandertaler. Freudetrunken. Oder regulär besoffen. Güldene Strahlen schickte nicht nur die mild leuchtende Abendsonne, sondern auch so mancher vergnügt brunzende Fan zur Feier des Tages von oben auf den Boden. Alles in den Vorgärten der Dallenberger! So klang es zumindest in ihren Kommentaren in der MainPost.
MUTIG, MUTIG: KICKERS MIT FLUTLICHT
Für die zweite DFB-Pokalrunde im Oktober 2014 gegen den Zweitligisten Eintracht Braunschweig und für die geplante 3. Liga musste ein Flutlicht her. Sonst hätten die Rothosen in ein Ersatzstadion ausweichen müssen. Schweinfurt, als einzig taugliche Alternative. Undenkbar für Würzburger. Dr. Michael „Erzengel“ Schlagbohrer (Name ähnlich), Heidingsfelder Zahnarzt und Kickers-Präsident, besuchte für die Genehmigungen mit strahlend weißem Lächeln ein paar Stadträte. Während im Hintergrund Arzthelferinnen mit riesigen Spritzen umhertanzten und bedrohliche Instrumente schwangen, wurde alles mit furchtsamer Hand durchgewunken.
In einer Nacht errichtete Stadtbaurat MacGyver Baumgart aus vier Pappröhren, einem Kaugummi und einem abgebrochenen Zahnstocher die entsprechende Flutlichtanlage (allein). Eine erstaunliche Leistung. Vor allem wenn man bedenkt, dass er heute auch noch bei jedem Flutlichtspiel die Energie liefert, indem er in einem unterirdischen Hamsterrad (unter der Sekttheke im VIP-Zelt) strampelt. Die Gerüchte nach denen der Rimparer Metzgersohn Bernd „Holleraxt“ Hollerbach, Coach der Kickers, nachts gefesselte Trainer oder Spieler aktueller Gegner mit dem Flutlicht gegrillt haben soll, sind wahrscheinlich erfunden. Einen leichten Röstgeruch, eine gesunde Bräune und ein vor Angst zittriges Gemüt wiesen allerdings alle Gegner der Kickers in dieser Saison auf.
WO VIEL LICHT IST, IST STARKER SCHATTEN (JOHANN WOLFGANG VON GOETHE, GÖTZ VON BERLICHINGEN) ODER: FLUT IST KRIEG
Die Ruhe gewohnten Anwohner wollten sich verständlicherweise dieses Treiben nicht länger bieten lassen. Nicht traurig im Schatten des Flutlichts in ihren Villen dahinvegetieren. Dass Flutlichtspiele an maximal zehn Terminen im Jahr durchgeführt werden dürfen, dass man vielleicht sein Rollo am Abend drei Stunden runterlassen kann und dass Kickers für tausende Euros Klos aufstellen ließ, ist ja egal. Es geht ums Prinzip! Und das heißt für manche Alt-Würzburger: Nörgeln und den Fortschritt aufhalten. Die Anwohner klagten gegen den Verein.
Somit ist klar: Es herrscht Flutlichtkrieg am Dallenberg. Das Stadion steht länger da, als die meisten dort wohnen. Doch auch ohne Argumente, nur mit einer kleinen Division von Anwälten könnten sie siegen. Andererseits haben sie mit dem bezaubernd bissigen Präsidenten Dr. Schlagbohrer und dem grillenden Schlachter Bernd Hollerbach zünftige Gegner. Dabei könnte Aufsichtsrat Horsti Frischler mit seinen Milliarden die Diskussion so einfach beenden: Wie wär’s mit einem neuen Stadion, irgendwo neben Würzburg auf der grünen Wiese?
Wem das alles wie ein böser Traum vorkommt, dem hat vielleicht beim Schlafen stundenlang die angelassene Nachttischlampe in die Visage geleuchtet. Oder das fantastisch grelle Flutlicht vom Dallenberg.
SMAUL – SATIRE FÜR WÜRZBURG UND DIE WELT
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Fotos: Pascal Höfig