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WÜRZBURG. EINE LIEBESERKLÄRUNG.

Johanna ist gebürtige Würzburgerin und lebt seit 2008 in Berlin. Doch für diesen Sommer zog es sie zurück in ihre Heimatstadt. Warum – das schreibt sie hier.

Jedes Mal, wenn ich im Zug sitze und die Ansage höre „In wenigen Minuten erreichen wir den Bahnhof Würzburg“, stehe ich ganz schnell auf. Dann klemme ich mir meinen total hippen Berliner Jutebeutel unter die Arme, den ich schon vor zig Jahren als neue Schultasche ins Grünewald-Gymnasium ausführte – sehr zum Leidwesen meiner Mutter. Damals stand noch HaWeGe drauf – nein, keine Hipster-Abkürzung, sondern der Name eines Supermarkts, heute besser bekannt als tegut. Dann hieve ich den schweren Koffer in den Flur. Da kann man nämlich besser aus dem Fenster schauen, während der Zug einfährt in die Stadt. Jedes Mal liebe ich das. Wenn die kleinen Häuser nach und nach auftauchen, wenn die Weinberge in der Abendsonne leuchten. Und jedes Mal kriege ich Gänsehaut. Auch noch nach sieben Jahren.

Endlich steige ich aus dem Zug und laufe vorbei an den netten Beamten in grün durch diesen fürchterlichen, hässlichen Bahnhof. Trotzdem ist es der beste Bahnhof der Welt. Weil er mich nach Hause bringt.

Zugegeben: Auch der Bahnhofsvorplatz ist nicht viel hübscher. Daran kann die malerische Kulisse der Weinberge nicht viel ändern. Ebenso wie die Kaiserstraße. Bei mir heißt sie „Durchgangsstraße“. Irgendwie versucht sie zwar, das schnuckelige Flair der Juliuspromenade noch mitzunehmen, aber auf halber Strecke gen Bahnhof gibt sie sich erschöpft geschlagen. Ist okay so. Ich mag diese Unperfektheit in der ansonsten ziemlich makellosen Innenstadt. Wenn ich in Würzburg bin, gehe ich erstmal so oft und so lange spazieren, wie ich kann. Durch die Felder hinter der Uni am Hubland bis nach Randersacker. Wo ein altes Klavier mitten in der Pampa steht. Und eine kleine Kapelle. Dort kann man in die Weite sehen. So sehr. Das gibt’s in Berlin nicht. Man kann singend und lachend und weinend über die Felder rennen und ist dabei ganz allein, ohne dafür erst weit „raus“ fahren zu müssen. Sich nur ein paar Minuten sich aufs Rad schwingen, das war´s. Und dann kann man sich einfach unter die blauen und grünen Weintrauben legen und in den Himmel gucken. Ich laufe durch die Weinberge in der Sonne und durch die Straßen, wenn es dunkel wird. Am liebsten mit Musik im Ohr. Dann sauge ich das alles in mich auf. Die kleinen lieben Gassen, die man alle kennt. Jede einzelne.
Es gibt keine Ecke, an der man sich verloren fühlt oder an der man nicht mehr weiß, wie man nach Hause kommt, weil man drei kleine rote Gläser zu viel aufm Kutter hatte. Oder fünf. Dann läuft man eben. Geht schon. Ist ja meist nicht weit.

Am schönsten ist es natürlich an der Festung und am Mainkai. Oder nein, an der Steinburg und auf der alten Mainbrücke. Am Graf-Luckner-Weiher und am Hubland. Im Lusamgärtchen und im Kult. Ach, ich weiß es nicht.

Ich liebe Dich besonders im Herbst. Weil keine Stadt so leuchtet, wie Du es tust. Wenn alles tiefrot ist und goldgelb inmitten von Weinbergen und Mainschleifen. Wenn die vielen abertausenden kleinen Kirchtürme das Licht zurückspielen, während man auf der Wiese vom Festungsflimmern sitzt und runterguckt, ins Bilderbuch.

Am besten ist sowieso das gute Wetter. Das weiß man erst zu schätzen, wenn man es mal nicht mehr hat. Ständig scheint die Sonne und es regnet fast nie. Wirklich: unverschämt nie. Und wenn es mal grau ist, sieht man immer noch Wolkenkonturen und kriegt ein bisschen Licht ab, weil die Häuser nicht so hoch sind. Wenn es dann doch mal regnet, hält das meist nicht lange an. Binnen Sekunden braut sich alles zusammen, es donnert und regnet herab und verzieht sich dann wieder, als wäre kein Tropfen je vom Himmel gefallen.

Abends trifft man schließlich alle möglichen bekannten Gesichter. Zufällig. Das ist ganz schön fantastisch. Solche Zufälle gibt’s in Berlin eher selten, weil es dafür natürlich zu groß ist. Aber hier in Würzburg sagt man zum Beispiel: „Heute sind wir am alten Kranen, kommt doch noch dazu, wenn ihr Lust habt.“ Ganz spontan. Schön ist das. Dann zieht man weiter zum René und trifft wieder irgendwelche Leute, die man kennt.

Man weiß immer, was Sache ist. Man hat den Überblick. Wenn es eine Demo gibt, kriegt das jeder mit – und bei Debatten um neue Einkaufszentren, das MOZ oder Flüchtlingsunterkünfte weiß man schnell, wer in der Stadt welche Meinung vertritt und an wen man sich wenden kann. Kurz: Man weiß hier meist, womit man es zu tun hat. So findet man zum Beispiel nur eine Bodenstation und nicht tausend gleiche. Das ist etwas Besonderes. Hier gibt es eben nur ein Studio, eine Ulla und eine Uschi.

So, jetzt hab ich aber keine Zeit mehr. Ich muss mir nun sofort einen Zug buchen. Das ist ja so nicht zum Aushalten. In 500 Kilometern bin ich da. Bis gleich, liebes Würzburg. Du bleibst die Einzige, zu der ich immer wieder zurückkehren werde.
Text: Johanna Kleinschrot; Foto: Tobias Eibert