GESELLSCHAFT, NEWS, SEHEN-HÖREN-FÜHLEN

Es gibt viele Menschen, die verzweifelt, einsam oder traurig sind – ein Telefongespräch mit jemandem, der zuhört, kann da oft ein kleines Wunder bewirken. Dafür ist die TelefonSeelsorge da. Sie ist das ganze Jahr über – auch an Weihnachten und Neujahr – eine große Stütze für viele Menschen. Wir haben mit Ruth Belzner, seit 20 Jahren Leiterin der TelefonSeelsorge in Würzburg, gesprochen. In Liebe Nachbarn erzählt sie von den Herausforderungen, die die Arbeit als „Telefonseelsorger“ mit sich bringt.

Wie viele Anrufe bekommt die TelefonSeelsorge im Schnitt pro Tag? Ruth Belzner: Im Schnitt klingelt das Telefon 53 Mal täglich – davon kommt es in 38 Fällen zu einem Seelsorgegespräch mit durchschnittlich etwa 22 Minuten Dauer. Die anderen Anrufe sind Aufleger oder Anliegen, für die wir uns nicht zuständig sehen.

Bekommen Sie zu den Weihnachtsfeiertagen vermehrt Anrufe? Wenn ja, woran könnte das liegen? Nein, die Zahl der Anrufe steigt in diesen Tagen nicht. Das liegt zum einen vermutlich daran, dass unsere Auslastung ein Mehr ohnehin kaum zulässt. Zum anderen sind Menschen, die an diesen Tagen wegen Einsamkeit anrufen, auch an den anderen Tagen des Jahres einsam und rufen deshalb die TelefonSeelsorge an. Und diejenigen, für die Weihnachten mit Konflikten und enttäuschten Erwartungen verbunden ist, sprechen eher vorher über ihre Befürchtungen oder hinterher über ihre Enttäuschungen.

Was sind Themen und Probleme, mit denen die Mitarbeiter der TelefonSeelsorge besonders oft konfrontiert werden? Körperliches Befinden, familiäre Beziehungen depressive Stimmung, Ängste und Einsamkeit sind die am häufigsten erfassten Themen. Und sie werden oft im Kontext einer psychischen Erkrankung besprochen. Insgesamt bekommen wir es mit allem zu tun, was Menschen das Leben schwer machen kann und ab und zu auch mit dem, was jemanden freut.

Was war der schlimmste Anruf, mit dem Sie oder einer Ihrer Mitarbeiter je konfrontiert wurden? Die Frage kann ich für meine Mitarbeiter nicht beantworten. Ich spreche zwar immer wieder mal mit dem einen oder anderen ihnen über ein „schlimmes“ Gespräch, aber ich kann da keine Rangliste aufstellen – auch nicht für die Gespräche, die ich selber geführt habe. Als gemeinsamen Nenner könnte man vielleicht sagen: Dass man an einer für den Anrufenden schlimmen Situation nichts verändern kann, zu sehen, dass er selber nichts verändern wird und auszuhalten, dass es darin keinen einfachen Trost gibt – das fällt niemandem von uns leicht.

Welche Qualifikationen muss ein Mitarbeiter mitbringen – oder kann jeder bei der Telefon-Seelsorge ARBEITEN? Es kann tatsächlich nicht jeder bei der TelefonSeelsorge mitarbeiten. Entscheidend ist aber nicht, welchen Bildungsabschluss jemand mitbringt oder welchen Beruf man gelernt hat. Es geht um persönliche Qualitäten und Potenziale: Mitarbeitende brauchen sowohl Einfühlungsvermögen als auch inneren Abstand. Sie benötigen Geduld, gleichzeitig Struktur und Klarheit sowie einiges an psychosozialem Grundwissen – und dennoch einen offenen, nicht diagnostizierenden Blick auf den anderen Menschen. Wichtig ist weiterhin eine zuversichtliche Haltung zum Leben, Verständnis für die Hilf- und Hoffnungslosigkeit von Anrufenden, Interesse an anderen Menschen, ein feines Gespür für die Grenze zur indiskreten Neugier, eine sehr reflektierte Gesprächsführung und auch die Unbekümmertheit, einfach nur den eigenen Impulsen zu folgen. Ich könnte noch so manches aufzählen, grundsätzlich wichtig ist aber: Bei der Arbeit in der TelefonSeelsorge bewegt man sich in einem sehr spannenden und spannungsreichen Umfeld. Vieles lässt sich in der Ausbildung, in Fortbildungen und Supervisionen schulen und festigen, aber Voraussetzung ist, dass Menschen die Fähigkeit, sich in einem solchem spannungsreichen Feld zu bewegen, grundsätzlich mitbringen.

Haben Sie schon einmal jemanden, mit dem Sie telefoniert haben, persönlich getroffen? Nein, nie. Für die ehrenamtlich Mitarbeitenden ist es eine zentrale Regel, dass der Kontakt nur per Telefon, nur über die Nummer der TelefonSeelsorge und anonym stattfindet. Als Leiterin könnte ich den Anrufenden prinzipiell Termine für persönliche Gespräche anbieten. Aber hier in Würzburg gibt es mit dem Krisendienst und dem Gesprächsladen zwei absolut niedrigschwellige Anlaufstellen für persönliche Beratung und Krisenhilfe, darauf können wir Anrufende gut verweisen.

Wie schafft man es, Mitgefühl zu zeigen, sich aber selbst nicht von den Problemen der Menschen herunterziehen zu lassen? Vorneweg: Es kann auch erfahrenen Telefonseelsorgern passieren, dass sie im Sog der Verzweiflung eines anderen Menschen selbst ins Trudeln geraten. Dann ist es wichtig, hinterher in einem Gespräch mit Kollegen oder mit uns Hauptamtlichen wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Eine Supervision kann helfen, in diesem Spannungsfeld zwischen Mitfühlen und Trennung, zwischen eigenen und den Problemen anderer Menschen gut klarzukommen.

Sind Sie ausschließlich dafür da, den Anrufern Rat zu geben oder leiten Sie auch weitere Schritte ein – zum Beispiel die Verständigung der Polizei? Ich würde sagen, wir sind gar nicht mal in erster Linie dazu da, Anrufenden Rat zu geben. Es geht viel mehr darum, aufmerksam hinzuhören und die Anrufenden auf der Suche nach eigenen Ideen zu begleiten. Die TelefonSeelsorge kann und wird von sich aus nur das tun, was Anrufende ihr direkt ermöglichen – wie zum Beispiel die Rettungsleitstelle alarmieren, wenn diese uns mitteilen, wo sie gerade sind. Gerade die Tatsache, dass Menschen die Kontrolle darüber behalten, was geschieht, ermöglicht es ihnen, auch sehr schwierige, alarmierende Situationen offen zum Thema zu machen.

Text: Katharina Kraus