UND WAS TREIBST DU SO? Ein junger Mann öffnet die Tür. Mit Löckchen und einem verschmitzten Grinsen. Er erinnert ein bisschen an Tim Bendzko oder einen sehr gut aussenden Thomas Müller. Wie ich erfahre, hört er das sehr oft – hält von dem Vergleich aber nicht viel. Um den Hals hat er ein Maßband hängen und man sieht, dass er mit dem Thema Mode vertraut ist: Bei seinem Outfit passt jedes Detail. Trotzdem sieht es extrem lässig aus. Es ist früher Abend, als ich mir die Dreistigkeit herausnehme, an wildfremden Türen zu klingeln.
Dominik Joachim heißt der Blondschopf, der seine Haustür öffnet. Er ist 21 Jahre alt und wohnt mit seinem Kumpel in einer WG in Grombühl. Wenn er sich nicht gerade Gedanken über Klamotten für sein Label macht, verkauft er welche. Man merkt, dass er öfter mal spontan ausgefragt wird. Sonderlich unwohl scheint er sich nicht zu fühlen:
Auf doofe Fragen bekommt man meistens eben auch doofe Antworten:
Warum hat es so lange gedauert, bis Du die Tür geöffnet hast? Unser Türöffner, oder wie das Ding auch immer heißt, funktioniert öfter mal nicht; also musste ich fauler Mensch michselbst bewegen. Kann hin und wieder mal länger dauern.
Was hast Du bis eben getan? Am Laptop gearbeitet. Tun wir mal so, als wären Hobbys überbewertet!
Wer sollte unter gar keinen Umständen vor Eurer Tür stehen und warum? Ich ohne Schlüssel mit dem Schlüsseldienst. Wär teuer.
Erzähl mir doch mal eine besonders schöne, lustige oder traurige Nachbarschaftsgeschichte.
Ich hab‘ ne Nachbarschaft? Habe die anderen Häuser wohl immer übersehen. Habe wohl zu oft auf mein Handy geschaut.
Wie lange wohnst Du schon in diesem Haus? Zwei Jahre, zwei Monate, fünf Tage, 19 Stunden und 30 Minuten. Lustigerweise habe ich mir da neulich Gedanken drüber gemacht.
Was hast Du durch die geschlossene Haustür und durch die Wände so mitbekommen, was vielleicht nicht für Deine Ohren bestimmt war? Wie Menschen, die über uns wohnen, mit Special Effects kuscheln.
Wie verriegelst Du die Tür? Und warum? Die Haustür nur mit Schloss. Kommt vielleicht daher, dass es für das Bad keinen Schlüssel gibt. Da stumpft man ab, haha. Wenn jemand einbrechen will, tun wir einfach so, als wären wir selbst Einbrecher und sagen denen, dass es hier nichts zu holen gibt. Problem gelöst. Oder wir stellen uns tot – das schreckt ab.
Ein freundliches Gesicht strahlt mir entgegen, als mir nach einmal klingeln Charlotte gegenübersteht.
Die 20-Jährige trägt ihre superflauschigen Hausschuhe und bittet mich ins Wohnzimmer. Charlotte wohnt erst seit einem Jahr hier und studiert Architektur. In fünf Jahren hofft sie, dass sie mit dem Studium fertig ist und nicht mehr hier in ihrer WG wohnt. Als ich geklingelt habe, war Charlotte gerade mit Lernen für eine Prüfung beschäftigt.
Aber trotzdem ist sie froh, dass ich vor ihrer Tür stehe. Versicherungsmakler oder ähnliches kann sie nämlich gar nicht leiden. Die sind oftmals so überzeugend, dass sie sich manchmal gar nicht traut, nein zu sagen – und am Ende dann eine Versicherung abschließt, die sie gar nicht braucht. Was Charlotte allerdings dringend braucht ist ihr Bett. Da macht sie quasi alles und sie würde es mir auch nicht für 5.000 Euro verkaufen.
Wer auch bei Charlotte klingen dürfte, wäre der Postbote.
Denn der bringt ihr regelmäßig Päckchen mit neuen Schuhen. Von denen schickt sie allerdings immer einige wieder zurück. Von ihren Nachbarn kann sie eigentlich nur Gutes sagen.
Eine Nachbarin hat ihr zum Beispiel mal einen Akkuschrauber geliehen, als sie einen neuen Tisch zusammenbauen musste. Mit dem Nachbarn unter ihr hat Charlotte eine eher peinliche Geschichte. Der hörte so laut Musik, dass sie eine Bandprobe unter sich vermutete. Als sie den Nachbarn im Treppenhaus traf und sich nach dem Bandnamen erkundigte, herrschte Stille. Naja, immerhin würde der Nachbar jetzt leiser Musik hören, so Charlotte.
Das ist Michael, 20 Jahre alt, Student der Philosophie und Political and Social Studies. Er wohnt seit April in einer Zweier-WG in der Würzburger Altstadt und ist zum Ziel unseres KlingeLstreiches geworden.
Man muss mindestens zwei Mal läuten, bis man hier hereingebeten wird. Das liegt daran, dass Michael beim ersten Klingeln erstmal denkt, dass das nur eine Verwechselung sein kann. Bei Klingeln Numero zwei bewegt er sich dann doch langsam auf die Haustür zu, auch wenn er sich im Allgemeinen nicht über ein Läuten an der Tür freut – außer natürlich, ein angekündigter Gast könnte davorstehen. Denn was für unangenehme Überraschungen könnten dort lauern? Man kann nie wissen! Nie wieder vor der Tür stehen sollten bei Michael zum Beispiel die Zeugen Jehovas; die haben ihn nämlich um acht Uhr morgens mit ihrem Wunsch, über Gott zu reden, so überrumpelt, dass er auch jetzt noch nur sagen kann, wie komisch dieses Treffen doch war. Die missionierenden Gesellen hat er schließlich weggeschickt, ein Schicksal, dass uns zum Glück erspart bleibt. Wir erfahren, dass Michael bis gerade eben Gitarre gespielt hat. Derzeit eine Ausnahme, gesteht er, sonst wird nur geübt, wenn er eigentlich etwas Besseres zu tun hätte.
Eine kleine Anekdote aus seiner bisherigen Zeit im Haus: Während er eines Abends in seinem Zimmer auf YouTube unterwegs war, konnte Michael durch die Wand, aus der Wohnung eines älteren Nachbarn, Hilfeschreie vernehmen. Zum Glück hat er gleich nachgesehen, was los war, denn der Herr war hingefallen und konnte nicht mehr aufstehen. So konnte gleich ein Krankenwagen gerufen werden, um dem Nachbarn die Hilfe zu leisten, die er benötigte. Mit dieser wichtigen Geschichte im Gepäck lassen wir Michael weiter sein Gitarrenspiel verbessern und machen uns auf die Suche nach unserem nächsten Klingelstreich-Opfer.
Dieser nette Nachbar heißt Frederic, ist 26 Jahre alt und studiert Lehramt. Nur ein Klingeln – und schon hat er mir die Tür geöffnet.
Wer sollte unter gar keinen Umständen vor deiner Tür stehen und warum? Meine Eltern. Heute. Weil sie wüssten, was gestern war.
Was hast du bis jetzt gerade getan?
(Lacht) Geschlafen und eine Tiefkühlpizza gegessen.
Kannst du mir schöne/lustige/traurige Nachbarsgeschichten erzählen? Unser Verhältnis zu den Nachbarn von nebenan oder unten … mhm … was kann man da erzählen? Es ist eine Geschichte der fortgesetzten Lärmbelästigung, eine einseitige Lärmbelästigung. Ach stimmt – und was Nettes: Die Mädchen von unten, die haben sich mit Keksen vorgestellt. Und mein Mitbewohner hat sogar kurz das Bad verlassen, um sich einen Keks zu nehmen und ist dann wieder zurück ins Bad. Und ansonsten, naja, die Nachbarn von gegenüber mögen uns nicht so.
Was hast du durch die Wände so mitbekommen? Also ich glaub eigentlich nichts. Es ist eher andersrum. Wir haben bis jetzt nichts gehört, was man nicht hören soll.
Wie verriegelst du deine Tür und warum? Wenn ich alleine bin, dann sperr ich von innen ab, damit ich den Schlüssel nicht vergesse. Das ist das einzige was ich mach.
Welchen Gegenstand aus deiner Wohnung würdest du mir nicht für 5.000 EURO verkaufen und warum? Mhm für 5.000 Euro … Alles ist käuflich 😉 Also wenn du was willst … außer vielleicht die Mikrowelle.
Für wen steht deine Tür immer offen? Für dich. (Lacht)
Wie würde dein Leben aussehen, wenn ich IN FÜNF Jahren nochmal bei dir klingeln würde? Genauso. Nur das Alter würde sich ändern. Ich wäre dann Frederic, 31 Jahre.
Wenn ich der Postbote wäre und dir ein Päckchen liefern würde, was wäre wohl drin? Da wäre Kaffee drin. Ich muss echt Kaffee bestellen.