EDITORIAL, SEHEN-HÖREN-FÜHLEN

Irgendwas mit Äpfeln???

Wahrscheinlich hast Du schonmal irgendwo irgendwas davon gehört, es nennst sich NLP, die Neuro-Linguistische Programmierung. Dabei geht es darum, die Psyche eines Menschen durch gewisse Sinnesreize  (hören, schmecken, fühlen, riechen und sehen) zu manipulieren.

Ein bekanntes Beispiel, dass diese Verhaltensmodifikation nicht nur auf den Menschen beschränkt ist, ist der Pawlowsche Hund. Jedes Mal, bevor der Hund sein Futter bekommt, wird ein Glöckchen geläutet. Nach einer gewissen Zeit verbindet der Hund das Läuten mit „Gleich gibt’s was zu Essen“ und fängt an zu sabbern, eine Neuro-Linguistische Programmierung hat stattgefunden; Glöckchen = Futter.

In früheren Zeiten, bevor es Mobiltelefone und elektronische Terminkalender gab, war der berühmte „Knoten im Taschentuch“ eine beliebte Methode, sich wichtige Dinge zu merken, ebenso einfach wie genial. Falls es etwas Wichtiges gab, hat man sein Stofftaschentuch genommen und einen Knoten reingemacht. Man ging dann seiner gewohnten Tätigkeit nach und musste nicht dauernd angestrengt versuchen, etwas im Hinterkopf zu behalten, um es nicht zu vergessen. Im Laufe des Tages hat man dann irgendwann (wahrscheinlich zum Naseputzen) zum Taschentuch gegriffen, bemerkte den Knoten, wusste wieder „Hey, da war doch was …“ und konnte sich meistens daran erinnern, was zu tun war. Diese Art der Selbstprogrammierung ist ebenso brillant wie einfach; verwendet wurden vorhandene Ressourcen, die Ausführung war unkompliziert und die Erfolgsaussicht hoch. Nach dem Erledigen der Aufgabe wurde „der Knoten gelöst“, direkt verbunden mit einem positiven Feedback, sich an eine Aufgabe erinnert und diese erledigt zu haben. Durch die hierbei induzierte Selbstbelohnung wurde das Verfahren umso effektiver, je öfter es angewendet wurde. Bereits nach kurzer Zeit konnte die Methode (Knoten = Aufgabe) als vollwertige Erinnerungsstütze verwendet werden.

Zwar ist die Erfolgsaussicht von NLP noch umstritten, jedoch wird das Setzen von „Schlüsselreizen“ auch gerne in der Werbung verwendet. Die Werbeindustrie beschränkt sich schon lange nicht mehr auf Slogans, die „ins Ohr gehen und im Kopf bleiben“, NLP ist viel subtiler und fällt dem Umworbenen nicht direkt auf, weshalb dieser keine Gegenmaßnahmen wie zum Beispiel die bewusste Abschottung vornehmen kann: „Den Quatsch kenne ich schon, interessiert mich nicht!“ Dort werden sogenannte „Anker“ gesetzt, Schlüsselreize, die beim Kunden die Erinnerung an die Marke auslösen sollen, wenn sie aktiviert werden, analog zum Läuten des Glöckchens oder dem Knoten im Taschentuch. Ich werde jetzt absichtlich keine vielleicht bereits gesetzten Anker auslösen oder eine Marke nennen und stattdessen ein kleines Experiment wagen.

Ich wünsche mir von Dir, lieber Leser, dass Du Dir kurz fünf bekannte Schlüsselreize ins Gedächtnis rufst: das Geräusch, das Dein Smartphone macht, wenn Du eine Nachricht bekommst, der Geschmack einer Tasse Deines Lieblingskaffees, Deine Brieftasche, wie sie sich anfühlt, wenn Du sie zum Bezahlen öffnest, der Geruch von Zimt und die Farbe und Beschaffenheit des Ringes an Deinem Finger. Hierbei werden für fünf verschiedene Sinne bereits vorhandene Anker benutzt. Lediglich bei denjenigen, die unverheiratet sind oder die keinen Schmuck tragen, keinen Zimt kennen, keinen Kaffee trinken, kein Smartphone und keine Brieftasche besitzen, werde ich keinen Erfolg haben; meine Zielgruppe ist also riesig, meine Erfolgsaussichten steigen mit jedem zusätzlichen Anker (zum Beispiel Kaffeetrinker plus Smartphone-User).

Stell Dir bitte das Geräusch vor, das Dein Smartphone macht, wenn Du eine Nachricht erhältst. Den genauen Ablauf, der daraufhin folgt: du nimmst das Smartphone, schaltest das Display an, liest – und denkst bitte an Äpfel.

Stell Dir bitte vor, wie Du gerade einen Kaffee trinkst. Du warst jetzt schon etwas müde und brauchtest einfach diesen kleinen Kick. Riechst Du den Kaffee? Genau so, wie Du ihn gerne magst! Und plötzlich: Äpfel.

Nimm Deine Brieftasche und halte sie in der Hand. Du gehst gerade im Kopf durch, was noch drin ist, weil du das vom letzten Bezahlen noch weißt. Vielleicht stehst Du das nächste Mal an der Supermarktkasse oder beim Bäcker. Hast Du an die Äpfel gedacht? Zimt, ein sehr intensives Gewürz das man eigentlich immer bewusst wahrnimmt, wenn man es irgendwo riecht. Vielleicht isst Du gerade ein Gebäck mit Zimt, Weihnachtsplätzchen oder trinkst einen Glühwein. Unvermittelt musst Du daran denken, dass Zimt super zu Äpfeln passt! Du schaust auf Deine Hand und betrachtest den Ring an Deinem Finger. Wieso musst Du gerade an Äpfel denken?

Solltest Du demnächst beim Benutzen Deines Smartphones, dem Kaffeetrinken, dem Öffnen Deiner Brieftasche, wenn Du bewusst Zimt wahrnimmst oder einen Ring siehst an einen Apfel denken müssen, hat das Experiment funktioniert und ich bin in Deinem Kopf. Umgekehrt funktioniert es aber genauso; wenn Du beim nächsten Apfel an diesen Artikel denken musst, war ich ebenfalls erfolgreich.

Text: Sebastian Fiedler