„Bring Kaffeedurst mit!“, sagt Julie vom Co-Op, als wir den Termin für unser Interview vereinbaren. Krieg ich hin, denke ich. Und freue mich auf meinen kleinen Erkundungstrip durchs historische Würzburger Mainviertel, wo ich auch Eva Hergenröther in ihrer Goldschmiedewerkstatt „IM SCHMELZTIEGEL“ treffe …
„Die Würzburger nannten ihr Meeviertel ja immer gern ihr Fischerviertel – der Überlieferung nach soll es jetzt schon über tausend Jahre her sein, dass hier im Mainviertel die Fischerzunft gegründet wurde.“ „Ach echt?“, staune ich – und bekomme wieder einmal ein schlechtes Gewissen angesichts der Wissenslücken über meine eigene Heimatstadt. Genauer gesagt über meine eigene Nachbarschaft. Ich sollte mir echt mal ein Buch darüber besorgen, überlege ich – meine spontane Lösungsstrategie für so ziemlich alles. Gleich heute im nächsten Buchladen sollte ich das machen; werde es aber vermutlich nicht tun, um ganz ehrlich zu sein. Jedenfalls nicht heute. Heute steht erst einmal Interviewen auf dem Plan – und zwar mit Eva Hergenröther und Julie Barthel, die beide 2018 ihren eigenen Laden im schönen Mainviertel eröffnet haben. „Die Fischerei hat das Mainviertel geprägt; viele Bewohner gehörten dieser Zunft an“, erzählt Eva weiter. „Daher gab es in diesem Stadtteil auch viele Fischerhäuser, von denen heute nur noch die Schiffbäuerin existiert.“ Die kenn ich immerhin, denke ich. Auch wenn ich zugegebenermaßen noch nie dort essen war, was ich aber definitiv bald tun werde. Alle schwärmen immer von den Fischgerichten dort – und angeblich soll das Lokal zu den besten Fischrestaurants Deutschlands zählen. Außerdem ist es quasi bei mir um die Ecke. Also auch ein Nachbar. Apropos um die Ecke: Als das Gespräch zufällig auf unseren Wohnort kommt, stellen Eva und ich fest, dass wir fast Haus an Haus wohnen – und das schon seit Jahren. Gesehen haben wir uns noch nie, was wir kaum glauben können. Von wegen die Welt ist ein Dorf.
Eva Hergenröther ist Goldschmiedemeisterin und Schmuckgestalterin; im Juni 2018 hat sie ihre Werkstatt Im Schmelztiegel in der Burkarderstraße eröffnet. Wunderhübsch bunte Origami-Vögel zieren das Schaufenster, sodass der Laden beim Vorbeigehen gleich auffällt. „Echt schön, die Vögelchen“, sage ich, und Eva lächelt. „Vielen Dank. Ja, die sind anscheinend ein kleiner Eyecatcher. Manchmal erzählen mir Kunden, dass sie vom Auto aus auf den Laden aufmerksam geworden sind – beim Vorbeifahren oben am Main entlang.“ Kann ich verstehen, dass man da neugierig wird. Sechs Jahre lang hat Eva Hergenröther ihre eigene Werkstatt in Margetshöchheim gehabt, seit 2013 ist sie nun schon selbstständig und in der VKU (Vereinigung Kunstschaffender Unterfrankens). Sie genießt es, ihre eigene Chefin zu sein. „Das ist immer schon ein großer Wunsch von mir gewesen – und letztlich auch meistens das Ziel, wenn man seinen Meister macht.“
Mit ihrer kleinen Familie wohnt Eva ein paar Straßen von ihrer Werkstatt entfernt und mag die Nähe zu ihrem Arbeitsplatz. „Ich finde es schön, dass meine vierjährige Tochter sozusagen in der Werkstatt mitaufwächst.“ Der alte charmante Laden in der Burkarderstraße mit seinen hohen Decken und dem Stuck an der Wand habe es ihr sofort angetan, erinnert sich die Goldschmiedin. „Was ist das Besondere an Deinem Laden?“, stelle ich die Klischeefrage aller Klischeefragen, interessiere mich aber wirklich für die Antwort. Schließlich ist eine Goldschmiedewerkstatt nicht unbedingt das, was der Ottonormalwürzburger in diesem Viertel auf Anhieb vermutet. „Das Besondere an meiner Goldschmiedewerkstatt ist, dass es hier auch Apfelsaft zu kaufen gibt“, lacht Eva, und tatsächlich fällt mein Blick auf eine Kiste Apfelsaft im Schaufenster. „Ok …?“ frage ich, nicht ganz sicher, ob sie einen Scherz macht. Meine Verwirrung bringt Eva zum Schmunzeln und sie erklärt, dass es sich dabei um eine Kooperation mit MainSchmecker handelt. Sie sei großer Fan der sogenannten regionalen und fairen Streuobst-Produkte der Main-Streuobst-Bienen eG – vor allem des naturtrüben Apfelsafts –, weshalb sie kurzerhand beschlossen habe, den Saft in ihrem Laden anzubieten. Ich muss zugeben, dass ich plötzlich auch Lust auf ein Glas davon verspüre; Sehr zu empfehlen by the way [Werbung wegen Markennennung, schreit das Instagram-Opfer in mir].
Doch zurück zu meiner Frage: Das Besondere an Im Schmelztiegel ist, dass der Besitzerin vor allem der persönliche Kundenkontakt am Herzen liegt. Einen Internetshop möchte sie nicht betreiben: „Eines der schönsten Dinge an meinem Beruf ist für mich, dass man gemeinsam mit dem Kunden etwas erarbeiten kann, was am Ende auch wirklich dem Individuum entspricht.“ Auch kleine Kurse werden angeboten, in denen man – für sich allein oder als Paar – seine eigenen Ringe schmieden kann. Gern arbeitet Eva Hergenröther auch mit Fundstücken, von denen – nebenbei erwähnt – auch schon welche ausgestellt wurden: ein paar Häuser weiter im Spitäle. Natürlich schlägt das Herz der Goldschmiedemeisterin außerdem für die Anfertigung von ausdrucksstarkem Schmuck – gern mit Geschichte, aber nicht zwingend. Sogar Recycling-Schmuck aus PVC hat Eva Hergenröther parat, verarbeitet aber selbstverständlich vor allem hochwertige Materialien (auch mal in Kombination zu Weggeworfenem) zu Unikatschmuck, der nicht einfach nur schön, sondern unverwechselbar ist. Besonders eben. „Übrigens gibt es hier auch Kinderschmuckstücke“, fällt Eva ein, als gerade ein ganzer Haufen dick eingepackter Kindergartenkinder – brav Hand in Hand vorbeistapfend – fasziniert die Vögel im Schaufenster anstarrt. „Die Straße ist nicht zuletzt durch den Kindergarten, die Grund- sowie die Musikschule viel belebter als ich dachte“, stellt sie bei der Gelegenheit fest. Am Ende unseres Gesprächs bitte ich Eva, einen typischen Arbeitstag von sich zu beschreiben: „Morgens wird der Schmuck in die Vitrinen eingeräumt, abends in den Tresor gepackt – und dazwischen entwerfe und baue ich neben Kundenanfertigungen neue Stücke, gehe auf Messen, arbeite mit Händlern zusammen – oder gebe Interviews“, grinst Eva. „Es bleibt also immer spannend“, lobe ich mich selbst und grinse zurück. „Auf jeden Fall!“
Ganz beschwingt von dem netten Gespräch mache ich mich schließlich auf den Weg zu meiner nächsten Station: dem wunderbaren Co-Op mit dem meiner Ansicht nach besten Kaffee der Stadt. Weil ich für mein Interview mit Julie zu früh dran bin, beschließe ich, nur kurz (!) bei Next Friday in der Zeller Straße vorbeizuschlendern. Seit seiner Eröffnung vor ungefähr drei Jahren zieht es mich anstatt direkt nach Hause auf wundersame Weise immer wieder mal in den schönen Concept Store. So kaufe ich mir heute meine zehntausendste Postkarte und einen Schlüsselanhänger vom kleinen Maulwurf, dem eindeutig nicht zu widerstehen war.
CO-OP: MEIN LIEBLINGSPLATZ
Jetzt aber auf zum Co-Op. Kaum öffne ich die Tür, schallt mir schon das unverwechselbare Lachen von Besitzerin Julie entgegen. Mein Lieblingsplatz an der Wand an dem kleinen Tischchen mit dem gemütlichen Sessel ist frei und ich stürze mich auf ihn. Julie, die gerade hinter ihrer Kaffeetheke steht, winkt mir freudig zu und signalisiert mir gleichzeitig mit entschuldigender Gestik und Mimik, dass sie noch beschäftigt ist. „Keine Eile“, rufe ich ihr zu und mache es mir in meinem Sessel gemütlich.
Auch auf die Gefahr hin, wie einem wahnsinnig rührseligen Rosamunde-Pilcher-Roman entsprungen zu klingen: Kaum bin ich hier, vergeht die Zeit irgendwie langsamer. Das Wetter draußen ist Grau in Grau, aber das Licht hier drin ist warm. Die Bastlampe über dem Tisch vor dem großen Fenster mit dem open/close-Schild in der Ecke wirft ihren langen Schatten durch den halben Raum. Es läuft Norah Jones und die Gäste sind entweder in Gespräche oder Bücher vertieft. Wie im Film, denke ich. Obwohl mir so auf Anhieb eigentlich gar kein konkreter Film einfällt, der mich an diese Szene erinnert … Julie kommt etwas atemlos an meinen Tisch und weckt mich aus meinen Tagträumereien. Sie hat einen Latte Macchiato für mich dabei, den ich noch nicht bestellt hatte, auf den ich mich aber seit zwei Stunden freue, denn Julie weiß, was ihre Stammgäste mögen. Und Stammgäste hat sie einige gewonnen, seit sie letztes Jahr das Co-Op eröffnet hat. Vor über 20 Jahren ist sie der Liebe wegen von den USA nach Deutschland gekommen. Seit 1996 lebt sie mit ihrem Mann und ihren Kindern in Würzburg: „Mir hat die Größe gefallen. Und es ist eine so wunderschöne Stadt.“ Seit Julie in Deutschland ist, wollte sie immer schon „etwas mit Essen aufmachen“. Sie habe auch mal beim Catering gearbeitet und während ihres Studiums eine Zeit lang im Wohnheim für die 20-köpfige Wohngemeinschaft gekocht, erinnert sie sich lächelnd zurück. Studiert hat sie in Austin (Texas), wo sie auch ihren Mann – damals ein Austauschstudent im selben Uni-Kurs – kennengelernt und sich verliebt hat. Womit wir wieder beim Thema Film wären, denke ich entzückt, und finde mich selber kitschig. Vor ein paar Jahren sind Julie und ihr Mann für zwölf Monate um die Welt gereist. „Aus diesem Reisejahr wurde eine richtige Kaffeereise – wir sind in vielen Kaffeeländern gewesen“, erzählt Julie begeistert – und die Freude an ihre Erinnerungen steht ihr ins Gesicht geschrieben. „Die Leute waren so offen und hilfsbereit; viele haben ihr Wissen rund ums Thema Kaffee mit mir geteilt. So kam zu meinem Traum, etwas mit Essen aufzumachen, der Wunsch hinzu, etwas mit Kaffee aufzumachen“, erklärt die fröhliche Amerikanerin. Ihr sei vor allem wichtig, dass die Leute einen Zugang zu Kaffee gewinnen. Dabei wolle sie niemandem etwas aufdrängen, sondern unaufdringlich informieren – ein Bewusstsein dafür schaffen, welche vielfältigen Möglichkeiten Kaffee in Sachen Genuss und Geschmack bietet. Trotz ihrer Liebe zu Spezialitätenkaffees, die im Co-Op wöchentlich wechseln und unterschiedlich aufgebrüht werden, entschied sich Julie gegen Specialty Coffee im Logo. „Man ist ja hier nicht gezwungen, außergewöhnlichen Kaffee zu trinken – natürlich gibt es auch den guten alten Filterkaffee, Cappuccino, Tee, Limonaden, Kleinigkeiten zu snacken und unterschiedliche Kuchen.“ Auf der Karte darf man sich unter anderem über „Frühstück mit allem, was der Kühlschrank hergibt“ freuen oder Peanut Butter Jelly Toast genießen. Letzterer ist übrigens Julies persönlicher Favorit auf der Karte. Völlig zu Recht, wie ich finde.
DER NAME IST PROGRAMM
Zum Namen Co-Op kam es schließlich deshalb, weil sich Cooperations durch Julies ganzes Leben ziehen. Angefangen beim Kochen in ihrem Studentenwohnheim namens German House Co-Op über die Zusammenarbeit mit verschiedenen Kleinröstereien ihres Vertrauens oder Falko aus Randersacker, dessen Espressobohnen Julie bezieht, bis hin zu der Kooperation mit ihrem Vermieter. „Die Zusammenarbeit mit meinem Vermieter vor der Eröffnung des Co-Op war eine echte Bereicherung“, berichtet Julie. „Ich bin im Vorbeigehen zufällig auf den Raum aufmerksam geworden und habe gleich die Nummer angerufen, die auf dem Schild im Fenster stand.“ Als Julie dann das erste Mal in den vier Wänden des jetzigen Co-Op stand, war die Entscheidung fast schon gefällt. „Ich hab mich in dem Raum gleich wohlgefühlt – und das war wichtig für mich. Nur so konnten wir aus ihm etwas entstehen lassen, was sich richtig anfühlt.“ Mein Blick fällt auf die Gäste am Tisch neben mir, die ihren Carot Cake runterschlingen, als gäb’s kein Morgen. „Backst du die Kuchen eigentlich immer selbst?“ frage ich. „Klar, ich will sie ja auch selbst essen“, lacht Julie. Klingt einleuchtend. Beim Mittagsmenü legt sie Wert darauf, die Kosten immer unter sechs Euro zu halten, damit es sich so viele Leute wie möglich leisten können.
Das Gericht ist vegetarisch oder vegan und es gibt immer einen Salat dazu. Auf Geschmacksverstärker verzichtet Julie bei der Zubereitung ihrer Gerichte völlig – und bei der Wahl der Gewürze beschränkt sie sich meist auf die Klassiker Curry, Chili, Salz & Pfeffer – et voilà … den Leuten schmeckt’s. Einmal meinte ein Stammgast kurz und bündig: Mach mir was zu essen und bring mir was zu trinken. „Von meinen Gästen so ein Vertrauen entgegengebracht zu bekommen, macht mich ehrlich glücklich“, sagt Julie und muss plötzlich lachen: Von zwei anderen Gästen kam sogar mal die Bestellung: Zwei Mittagessen bitte – was gibt’s eigentlich?“ Ich kann sie gut verstehen, diese Gäste.
„Fühlst du dich wohl hier im Mainviertel?“, möchte ich am Ende unseres Gesprächs wissen. „Sehr! Es ist einfach eine tolle Nachbarschaft hier. Wenn ich Blumen kaufen möchte, gehe ich in den Blumenladen zwei Häuser weiter, Patricia vom Friseurladen links nebenan schaut auch gern mal rein, die Leute vom Döner rechts nebenan sind auch sehr nett, Eva von der Goldschmiedewerkstatt ein Stück hinter der Pizzeria und dem Sushi-Restaurant kommt auch ab und zu vorbei – hier halten alle zusammen und ich fühle mich wirklich wohl zwischen all den lieben Leuten.“ Na wenn das mal nicht wie Faust aufs Auge zum Titel des Magazins passt, dann weiß ich auch nicht. Julie, es war mir wie immer eine Freude – wir sehen uns die Tage!
Als ich eine Weile später die Tür vom Co-Op aufmache, kommt’s mir draußen gar nicht mehr so grau vor. Überlegend, ob ich noch schnell einen Friseurtermin bei Patricia ausmachen soll, stehe ich an der Ampel. Herr Toksoy von der Änderungsschneiderei gegenüber winkt mir aus seinem Laden fröhlich zu. Ich winke erfreut zurück. Liebe Nachbarn – schön, dass es Euch gibt.
Text: Lisa Dillhoff;