Wie ich einst auszog, um meine Musiklehrerin Lügen zu strafen (und dabei zufälligerweise ziemlich viel Bier zu trinken).
„Ihr müsst an der Stelle eine kleine Terz einfädeln, sonst
klingt das schepps“, erklärt der Typ in der Mitte. Klar, die kleine Terz einfädeln, hätt ich auch selbst drauf kommen können. Ist das dann so ähnlich wie der Schirm, der beim Solo von Pink Floyd’s Comfortably Numb in uns aufgehen soll? Oder oktavieren wir das lieber entsprechend? Wie auch immer: Ich versteh nur Bahnhof, nehm einen kräftigen Zug (haha) aus der Bierflasche – und hol ganz tief Luft …
IT´S TIMES LIKE THESE …
Es sind Momente wie diese, in denen ich mich immer wieder frage, was zum Geier ich hier mache: Mitten unter der Woche, mitten in der Stadt in einem leicht muffigen Keller entdecke ich – mitten in meinen Dreißigern – plötzlich, dass es ganz schön viel Laune macht, sich mitten unter der Woche mitten in der Stadt in einem leicht muffigen Keller mit ehemals wildfremden Leuten zu treffen, um sich gemeinsam die Seele (oder was davon eben übrig ist) aus dem Leib zu singen. Singen. Ich und singen – ausgerechnet. Drei mal Terz geteilt durch fünf Oktaven mal Wurzel aus Tenor ergibt … kurz nachrechnen … hab’s: Bier!
DOWN IN THE PAST
„Thomas, wir warten“, sagt Frau Schuster mit ihrer typischen Besserwisser-Stimme, in der wie üblich ein klein wenig Sadismus mitschwingt. Ich bin zwölf – und stehe an der Tafel, im Musikunterricht. Die Kreide zittert in meinen Händen, Frau Schusters Brille liegt auf ihrer Nasenspitze, ihre stechend blauen Augen blitzen darüber hervor. Die Kreide bricht ab. Meine Mitschüler beginnen zu lachen. „Na … und … die Tonleiter …?“. Es sind Momente wie diese, in denen Kinderherzen ähnlich porös werden wie der Kreidestummel in meinen schwitzigen Händen. „Na gut, setz dich. Musik ist offensichtlich nix für dich.“ Ich setze mich – und legte sämtliche musikalischen Aktivitäten für die nächsten Jahre entmutigt beiseite. Danke für nichts, Frau Schuster! Dass ich den Großteil meiner Jugend fortan mit gewaltverherrlichenden Ego-Shootern zubringen sollte und bis heute beim Refrain des Ramones Hit „Blitzkrieg Bop“ manchmal singe „Hey ho, let’s go, Schuster in the back now“, hat mit diesem traumatischen Erlebnis sicher überhaupt nichts zu tun.
FAST FORWARD
In dem Woody-Allen-Streifen „To Rome with love“ entdeckt ein italienischer Bestatter, dass er unter der Dusche ziemlich hervorragend singen kann, auf der Bühne aber keinen Ton trifft. Die logische Konsequenz: Man platziert ihn in einer Duschkabine mitten in einem großen Opernsaal, wo er mit herzzerreißenden Arien beim Publikum Begeisterungsstürme entfacht. Stellte man mich in so eine Duschkabine und gäbe man mir nur das vergleichsweise einfachere „Heut kommt der Hans zu mir freut sich die Lies“ zu singen, könnte man nach wenigen Takten vermutlich die Dienste des italienischen Bestatters ziemlich gut gebrauchen. Meinetwegen – und des Publikums wegen. Und der Nachbarn des Opernhauses wegen. Und deren Nachbarn.
Was ich mit diesem Gedankenspiel sagen will: Singen und ich – das harmonierte viele Jahre ungefähr so gut wie … Liam und Noel Gallagher. Oder … Madonna und der Eurovision Song Contest. Oder Bayern 3 und … Musik im allgemeinen. Kennt ihr die Szene aus dem Bundestag, in der Andrea Nahles (Gerhard Schröder habe sie selig) das Pipi-Langstrumpf-Lied verbricht? Das bin ich – als Mann. Auf Koks. Und doch finde ich mich heute wöchentlich im Tenor des Würzburger Kneipenchors wieder. Beim punky Einstudiern eines alten The-Doors-Hits, dem energetischen Rap-Part des RHCP-All-time-Favourites „Can’t Stop“, einem verdammt hohen Refrain eines Ärzte-Songs – oder eben dem Einfädeln der vermaledeiten Terz bei Depeche Mode‘s „Everything Counts“. Was war also mit mir geschehen?
MUSIC WAS MY 23RD LOVE
Um es kurz zu machen: Nix. Ich hab’s einfach getan. Luft rein, Brust raus – und der Rest? Ist jetzt vielleicht kein großes Musik-Kino, aber auf jeden Fall meine persönliche Entdeckung der Beatles. Die typischen Alltagssorgen, sonst auf Heavy-Rotation in meinem Kopf, waren schon nach den ersten Takten in der ersten Probe ziemlich schnell abgesetzt. Es klingt kitschig (und Dr. Albern), aber ich hätte nie für möglich gehalten, welche fucking geile (um in den Worten unseres Chorleiters zu sprechen) Wirkung gemeinsames Singen entfalten kann. In your ear, Frau Schuster!
Im Zusammenspiel von Tenor, Alt, Bass und Sopran entfalten auch eher dürftig dimensionierte Stimmchen wie die meinige einen wohlfeinen Klang. Jeder gibt gesangstechnisch das, was er kann, hält sich vielleicht an jener Stelle zurück, um an anderer und möglicherweise zu seiner Stimmlage passenderer Position die Töne aus vollem Halse zu schmettern. Mit der Zeit und den nötigen Ratschlägen der Chorleiter und Coaches (allesamt Vollblutmusiker) klappt all das immer besser: Stimmeinsatz, Intonation, feinste Feinheiten entlang der einst so verhassten Tonleiter – von Mal zu Mal entfaltet sich hier eine völlig neue Welt, selbst für musikalisch eher dürftig gesegnete Menschen wie mich. Und höre da: Es klingt gar nicht mal so schepps.
SO WERTVOLL WIE EIN KLEINES BEATSTEAK
Wer ist am Ende also Schuld an der ganzen Sache? Vielleicht das auf den ersten Blick zwanglose Format eines Kneipenchors, von denen es mittlerweile landauf landab mehr gibt als Hipster-Bärte in Berlin-Mitte; möglicherweise aber auch das gar nicht mal so zwanglose und relativ durchgetaktete Üben und Wieder-Üben und Wieder-Üben von Songs, die man jahrelang scheinbar korrekt und doch himmelhochjauchzend falsch unter der Dusche zum Besten gab (sorry, liebe Nachbarn!); natürlich bringt auch das Zusammenkommen mit neuen, aufgeschlossenen Menschen ein ordentliches Gute-Laune-Plus; die gemeinschaftlich aufgenommenen Gerstensaftprodukte? Logisch! Ich schätze mal, es ist die perfekt abgemischte Mixtur aus all diesen und noch vielen weiteren Bestandteilen; also ein bisschen so wie bei einem guten Song, den man schon morgens kurz nach dem Aufwachen ums Verrecken nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Am Ende ist es aber eigentlich auch egal, was in mir die Begeisterung für Selbstgesungenes geweckt hat. Wie es ein erlesener Zirkel an hochgeistigen Philosophen einst sinngemäß formulierte: I don’t care – as long as I sing …!